Diese Frage ist oft und zu Unrecht zur klangästhetischen Grundsatzentscheidung stilisiert worden, was insbesondere bei Kuppenspielern die Illusion nährte, dass die Entscheidung für den ausschließlichen Gebrauch dieser Anschlagsform von vornherein eine bestimmte Qualität des Tons garantiere. Tatsache bleibt jedoch, daß man sowohl mit Kuppen wie mit Nägeln unbegrenzt schlecht spielen kann, wie einige Aufnahmen beweisen.
Sicher ist, daß ein Kuppenspieler etwas länger braucht, um einen perlenden, von Nebengeräuschen freien Ton auszubilden. So wie der Nagel einer gewissen Form bedarf, um beim Anschlag mühelos über die Saite zu gleiten, muß auch die Kuppe allmählich eine bestimmte Form annehmen, die es dem Spieler gestattet, die Saite mit der äußersten Spitze des Fingers in Bewegung zu versetzen. Das kann Monate oder sogar Jahre erfordern.
Aus meiner Sicht ist die Wahl des Anschlagsmediums in erster Linie eine Frage der praktischen Vernunft und primär von der Saitenspannung und dem verwendeten Saitenmaterial abhängig. Es wäre zweifellos unklug beim Spiel der spanischen Gitarre, deren erste Saite eine durchschnittliche Spannung von etwa 8 kg hat, auf den Gebrauch der Nägel zu verzichten. Eine historische Laute wiederum (mit Ausnahme von Theorbe, Arciliuto, Angélique und Gallichon), deren Chanterelle mit etwa 3 bis 3,5 kg gespannt ist, verlangt mit Recht nach der sanfteren Berührung durch die Fingerkuppen.
Der Liuto forte, dessen Modelle eine mittlere Saitenspannung aufweisen, eignet sich gleichermaßen für Nagel- wie für Kuppenspiel. Das Instrument büßt – mit den Kuppen gespielt – nichts von seiner Brillanz und Tragfähigkeit ein. Es hält jedoch ebenso den kühnsten Attacken der Nagelspieler stand und reagiert freudig auf jedes Vibrato.
Nagelspiel war auch auf einigen historischen Lauteninstrumenten durchaus üblich. Theorben und Arciliuti wurden nach dem Zeugnis von Alessandro Piccinini (1566-1639) und Sylvius Leopold Weiß gewöhnlich mit den Nägeln gespielt.
Für die Entscheidung zwischen Kuppe und Nagel ist neben der Saitenspannung auch das verwendete Saitenmaterial von Bedeutung. Darmsaiten haben – verglichen im Nylon- oder Carbonsaiten – selbst in poliertem Zustand eine leicht rauhe Oberfläche. Das ist von Vorteil, wenn die Saite mit Fingerkuppen angeschlagen wird, weil Fingerkuppe und Saite besser aneinander haften. Nägel hingegen erzeugen auf Darmsaiten immer ein leichtes Nebengeräusch. Das dürfte der Grund sein, warum ein Klangpurist wie Francisco Tárrega (1852-1909), dem keine Nylonsaiten zur Verfügung standen, sich noch in späten Jahren für eine Umstellung auf das Spiel mit Fingerkuppen entschied, obwohl die hohe Saitenspannung seines Instrumentes dies unvorteilhaft erscheinen ließ. Auf Nylon- und Carbonsaiten mit ihren spiegelglatten Oberflächen ist ein gut polierter Nagel, der geräuschlos abgleitet, das ideale Anschlagsmedium. Kuppenspieler müssen bei der Verwendung solcher Materialien etwas tiefer in die Saiten greifen, erzielen jedoch dadurch einen kräftigeren Ton.
Die Klangunterschiede zwischen Darm und Nylon beruhen weniger auf dem Unterschied ihres spezifischen Gewichts als auf der Verschiedenheit ihrer Struktur. Eine Darmsaite besteht aus mehreren, miteinander verdrehten Fasern (multifil), eine Nylonsaite aus einer einzigen Faser (monofil). Das Multifilament hat naturgemäß eine geringere Biegesteifigkeit. Es ist deshalb obertonreicher und reagiert besser auf Abzugs- und Aufschlagbindungen der linken Hand. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn es in Zukunft zur Entwicklung synthetischer Diskantsaiten mit multifiler Struktur käme, die den Vorzug besserer Haltbarkeit synthetischen Materials mit den klanglichen Qualitäten einer Darmsaite verbänden.