Die Achtform der Gitarre ist reizvoll und hat ausreichend Anlaß zu poetischen Vergleichen gegeben. Abgesehen von diesen beflügelnden Assoziationen sind – im Unterschied zu Streichinstrumenten – die Einbuchtungen der Zargen bei einem Zupfinstrument jedoch wenig sinnvoll, da dort keine Notwendigkeit besteht, die Saiten bequem mit einem Bogen erreichen zu können. Der Preis, den die Gitarre für ihre betörende Taille zahlt, ist in erster Linie verschenktes Luftvolumen. Sowohl Geigen wie Gitarren sind Schachtelinstrumente, jedoch mit einem wesentlichen Unterschied: Der Boden der Geige wird über einen Stimmstock durch Bogenstrich permanent in Schwingungen versetzt. Der Boden einer Gitarre hingegen, bei der die Übertragung der Deckenschwingungen nur durch Luftresonanz und die Zargen erfolgt, schwingt zwar in gewissem Ausmaß mit, ist aber nur sehr beschränkt zur Abstrahlung fähig. Der akustische Wirkungsgrad einer Gitarre liegt zwischen 5 und 10%.1 Die restlichen 90 bis 95% der hineingespielten Energie werden in Wärme umgewandelt.
Die Laute folgt einem völlig anderen Prinzip. Es läßt sich am ehesten mit dem Aufbau eines aus Reflektor (Korpus) und Membran (Decke) bestehenden Lautsprechers vergleichen. Dabei ist der Reflektor (Lautenkorpus) keineswegs starr, sondern reagiert in ganz eigener Weise auf Deckenschwingungen, die ohne Vermittlung einer Zarge übertragen werden. Obendrein sind Lautendecken oberhalb der Rosette nicht durch ein aufgeleimtes Griffbrett in ihren Schwingungen behindert. Vielmehr trägt dieser Deckenteil bei der Laute ganz wesentlich zur Formantbildung2 bei.
Was die Deckenbeleistung angeht, so bestehen zwischen historischen Lauten und Gitarren in spanischer Bauweise grundsätzliche Verschiedenheiten hinsichtlich der Nähe des ersten Querbalkens3 zum Steg, durch den die Saitenschwingung auf die Decke übertragen wird. Eine nur geringe Distanz zwischen beiden sorgt bei der alten Laute für einen besonders obertonreichen Klang im Diskant, reduziert jedoch drastisch den Grundtonanteil der Bässe. Torres und seine Zeitgenossen verlegen diesen ersten Querbalken unmittelbar hinter das Schalloch, wodurch sich die Klangbalance zwischen Baß und Diskant ganz wesentlich zugunsten der Bässe verschiebt. Es ist leicht nachzuvollziehen, daß zwischen diesen beiden gegensätzlichen Anordnungen des ersten Balkens weitere Lösungen möglich sind, die im glücklichsten Fall zur Synthese der Vorzüge eines besonders obertonreichen Instrumentes wie der historischen Laute mit denen eines ausgeprägt grundtönigen Instrumentes wie der spanischen Gitarre führen. Dies ist einer der Gedanken, die der Entwicklung der Neuen Laute (Liuto forte) zugrunde liegen.
1 Zum Vergleich: Die Schalleistung einer Gitarre liegt bei 0,004 Watt, die eines durchschnittlichen Zimmerlautsprechers bei 4 Watt.
2 Formanten sind nach Anzahl und Lage bestimmbare Frequenzbereiche, die von wesentlicher Bedeutung für die Klangfarbe eines Musikinstrumentes sind.
3 Die Resonanzdecken von Zupfinstrumenten werden durch aufgeleimte Querbalken stabilisiert. Bei historischen Lauten befinden sich zwischen Steg und Rosette mindestens drei von ihnen.