Der Verweis auf „Originalklang” oder die Verwendung von „Originalinstrumenten” zählt zu den erprobtesten Werkzeugen heutigen Musikmarketings. Er mag bei Instrumenten, die immer in Gebrauch gewesen sind, eine gewisse Berechtigung haben, im Fall der Laute ist gegenüber diesem Etikett jedoch größtes Mißtrauen angebracht.
Da beinahe alle der etwa 1000 heute noch erhaltenen Lauten des 16. bis 18. Jahrhunderts1 klanglich tot oder zumindest halbtot sind,2 wissen Lautenbauer, die von Kunden um Kopien solcher Instrumente ersucht werden, im Grunde genommen nicht, was sie eigentlich kopieren sollen.
Jedem Hersteller ist bekannt, daß Instrumente selbst bei milimetergenauer identischer Abmessung und Hölzern vom gleichen Stamm völlig verschieden zu klingen vermögen, während der Klang von Instrumenten abweichender Bauart sich bis zur Ununterscheidbarkeit ähneln kann. Da der Klang als allein verläßliches Kriterium des Gelingens der Kopie eines Musikinstrumentes bei 98% der überlieferten Lauten nicht mehr zu beurteilen ist, verfügen weder Lautenspieler noch Lautenbauer des 20. Jahrhunderts über Maßstäbe, an denen sie sich orientieren könnten. Die Rekonstruktion des ursprünglichen Klanges eines Instrumentes durch maßstabsgetreuen Nachbau der Vorlage ist eine Illusion.
Wir vermögen – trotz erfolgter Umbauten – auch heute noch festzustellen, was die charakteristischen Unterschiede der Violinen Stradivaris gegenüber denen Guadagninis sind. Wer aber vermag zu sagen, worin sich die Lauten Leonardo Tieffenbruckers von denen Vendelio Veneres unterscheiden?
In Angebotslisten heutiger Lautenbauer werden den Kunden Kopien der Instrumente von Lautenmachern des 16. Jahrhunderts wie Frey, Tieffenbrucker, Venere oder anderen offeriert. Das Angebot erweckt den Eindruck, als hätte der Käufer die Wahl zwischen Klangrichtungen, die das persönliche Merkmal der Instrumente eines des jeweils genannten historischen Lautenmachers sind. Die Offerte müßte korrekterweise den Zusatz enthalten „für die Ähnlichkeit des Klanges der Kopie mit dem des Originals wird keine Haftung übernommen”, da der Klang des Originals sowohl dem Hersteller wie dem Käufer vollkommen unbekannt ist.
Es läßt sich aufgrund der gegenüber alten Streichinstrumenten verschwindend geringen Anzahl noch spielbarer historischer Lauten heute nicht einmal mehr ansatzweise beschreiben, welche Klangrichtungen für die einzelnen, im 16. Jahrhundert blühenden Lautenmacherdynastien charakteristisch waren oder nach welchem Ideal sie strebten.3 Besteller eines Modells „Frey”, „Tieffenbrucker” oder „Venere” erwerben den Nachbau einer historischen Karosserie, in der bestenfalls die Vorstellungen des heutigen Herstellers vom Klang dieser Instrumente untergebracht sind.
Wir sollten uns deshalb eingestehen, daß wir die Laute zumindest in akustischer Hinsicht nur „noch einmal erfinden” können.
Was die Rekonstruktion der „originalen Spieltechnik” alter Lauteninstrumente angeht, so dürften heutige Spieler der Renaissancelaute ihr vielleicht am nächsten gekommen sein. Barocklautenisten der Gegenwart hingegen halten ihre Anschlagshand ganz anders, als das auf alten Abbildungen zu sehen ist. Es scheint, daß die in Traktaten des 17. und 18. Jahrhunderts unzweifelhaft beschriebene Spielposition der rechten Hand mit aufgestütztem kleinem Finger unmittelbar vor oder hinter dem Steg hinsichtlich der klanglichen Konsequenzen heute nicht einmal mehr den härtesten Verfechtern des originalen Klanges zuzumuten ist.4 Allerdings hat diese Anschlagsposition auch etwas mit der Beschaffenheit des früher verwendeten Saitenmaterials zu tun, das sich vom heutigen beträchtlich unterschied.
1 Die heute bekannten Lauteninstrumente sind am vollständigsten in dem von Klaus Martius zusammengestellten „Lautenweltadressbuch” aufgelistet: www.cs.dartmouth.edu/~lsa/associated/database/dbsearch.php
2 Selbst bei den wenigen heute noch spielbaren Lauten läßt sich nicht sagen, ob ihr Klang nach über zwei- oder dreihundert Jahren der Nichtbenutzung des Instrumentes noch in allen Punkten dem entspricht, was er einmal war.
3 Ausgenommen sind natürlich allgemeine Feststellungen wie die über den unterschiedlichen Klang tiefgewölbter oder abgeflachter Korpora, die auch an Nachbauten historischer Instrumente getroffen werden können.
4 Daß Lautenspieler früherer Zeit ihre Anschlagshand tatsächlich am Steg fixierten, ist nicht nur auf alten Darstellungen, sondern teilweise auch an den Gebrauchsspuren auf Decken historischer Lauten zu sehen. Auf einem Instrument von Hans Frey im Kunsthistorischen Museum Wien hat der hinter dem Steg aufgestützte kleine Finger des Spielers einen regelrechten Graben hinterlassen.