Im Zuge der Erneuerung der gesamten Lautenfamilie durch Liuto forte lag es nahe, auch die überlieferten Stimmungen einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Dabei stellte sich heraus, daß schon durch kleine Modifikationen, die kein großes Umdenken erfordern, wesentliche spieltechnische und klangliche Verbesserungen möglich sind. Diese können Spieler der Renaissance-Laute wie auch der Gitarre und d-moll-Laute erheblich entlasten.
Liuto forte-Spieler haben die Wahl, bei den überlieferten Lautenstimmungen zu bleiben oder einige der hier genannten neuen, verfeinerten Stimmvarianten auszuprobieren, die nicht nur zu spieltechnischen Erleichterungen, sondern auch zur Erweiterung der musikalischen Möglichkeiten führen, wie z.B. die Lautenkompositionen Johann Sebastian Bachs zeigen.
Um es vorwegzunehmen: Eine „ideale“ Stimmung gibt es nicht. Stimmungen sind immer nur Näherungen an die Musik, jede von ihnen hat ihre eigenen Vor- und Nachteile.
Die bis ca. 1620 gebräuchlichste Quartenstimmung der Renaissance-Laute (und heutigen Gitarre) geriet schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts zunehmend in Kritik. Jeder, der mit den Werken beispielsweise John Dowlands vertraut ist, weiß sehr genau, was Thomas Mace (um 1613-1709) meint, wenn er von den in dieser Stimmung so häufig vorkommenden „vertrackten Griffen“ spricht.
Zwischen 1600 und 1650 wurde eine Vielzahl alternativer Stimmvarianten ausprobiert, unter denen sich die im d-moll-Akkord (A)-d-f-a-d’-f’ schließlich als eine Art neuer Standardstimmung nördlich, östlich und westlich der Alpen behauptete. Diese d-moll-Stimmung führte bereits zu einer enormen Entspannung der linken Spielhand und eröffnete ungeahnte musikalische Möglichkeiten. Sie kommt einer idealen Stimmung sehr nahe.
Ein Makel, den sie mit der alten Quartenstimmung der Renaissance-Laute sowie der heutigen Gitarrenstimmung teilt, ist die Quarte zwischen dem 5. und dem 6. Chor. Grifftechnisch ist ein solches Intervall an dieser Stelle unsinnig. Solange der kleine Finger der linken Hand kürzer als die anderen Finger bleibt, müßten die Intervalle spätestens von der 5. Saite an eigentlich kleiner werden.
Gitarristen, die das besser verstehen möchten, brauchen nur einen Blick auf Takt 6 der Etude Nr. 1 von Heitor Villa-Lobos zu werfen, um sich dann vorzustellen, wie derselbe Griff aussähe, wenn ihre 6. Saite nicht in E, sondern in Fis gestimmt wäre und man das Gis dann auf dem 2. Bund greifen könnte. Dies setzt selbstverständlich eine zusätzliche 7. Saite in E voraus. Die an 6. Position eingefügte Saite in Fis, die je nach Tonart auch nach F oder G gestimmt werden kann, würde sowohl das Spiel der Renaissance-Laute als auch das der Gitarre in grifftechnischer Hinsicht ganz wesentlich erleichtern und zu deutlichem Klanggewinn führen.
Bezogen auf die d-moll-Stimmung der französischen Barocklaute wäre anstelle der im Quartabstand zur 5. Saite stehenden 6. Saite in A ein in B gestimmter Chor einzufügen, der – je nach Tonart – auch als H eingestimmt werden kann und dem das A dann als 7. Chor folgt. Diese Einsicht ist keinem geringeren als Johann Sebastian Bach zu verdanken, der die Vorzüge einer solchen Stimmung in mehreren bislang als nicht notengetreu ausführbaren Lautenkompositionen in aller Deutlichkeit demonstrierte (siehe www.Bach-Lautenwerke.de).
Angeregt durch meine Forschungen zu Johann Sebastian Bachs Lautenstimmung, die nur noch eine Quarte zwischen dem zweiten und dem dritten Chor enthält, enthält, entwickelte der französische Lautenist Éric Bellocq im Jahr 2008 auf seinem Liuto forte eine ganz eigene, ausschließlich aus Groß- und Kleinterzen bestehende Lautenstimmung. Dabei werden die oberen sechs Saiten des Instruments in der folgenden Weise gestimmt: c-es-g-b-d’-f’. Zusätzlich verfügt sein Instrument über eine komplette Reihe diatonisch gestimmter Baßsaiten, die bei Bedarf gegriffen werden können. Diese Stimmung eröffnet hinsichtlich der Akkordbildung bestechende neue Möglichkeiten. Nicht zuletzt vereinfacht das genaue Übereinstimmen der Töne der ersten fünf Saiten mit den Notenlinien des oktavierten Violinschlüssels das Spielen nach Noten (anstelle nach Tabulatur) auf einem solchen Instrument.
Interessierte, die darüber mehr erfahren möchten, können sich in englischer oder französischer Sprache direkt an Éric Bellocq wenden (www.bellocq.info).
Hinsichtlich der Durchsetzungsfähigkeit stellt das Zusammenspiel mit einem Orchester Gitarristen vor erhebliche Probleme. Sie sind nicht nur auf den grundsätzlich eher dunklen Klang ihres Instruments, sondern ebenso auf dessen tiefe Stimmlage zurückzuführen. Besonders schlecht stehen die Chancen, wenn in Tonarten musiziert wird, die nicht nur dem Spieler des Zupfinstruments, sondern auch den Streichern den häufigen Gebrauch der ungegriffenen, besonders resonanzstarken Saiten ihrer Instrumente erlaubt. Ein prominentes Beispiel dafür ist das zwar beliebte, aber im Hinblick auf das Zusammenspiel mit einem Zupfinstrument nicht unbedingt vorteilhaft instrumentierte „Concierto de Aranjuez“ in D-Dur von Joaquin Rodrigo.
Gitarristen sollten nicht davon ausgehen, daß das Bestehen auf permanentem Gebrauch eines Dämpfers die Lust der Streicher am gemeinsamen Musizieren erhöht. Gleichwohl scheint es erforderlich, die Bogeninstrumente etwas zurückzunehmen, wenn eine befriedigende Balance mit dem Zupfinstrument erzielt werden soll.
Ein natürlicher Weg dorthin wäre „Paganinis Trick“: Um den Solopart seines Violinkonzertes in D-Dur noch mehr Glanz zu verleihen, verfiel der legendäre Geiger auf die zündende Idee, sein Instrument um einen halben Ton höher zu stimmen, jedoch weiterhin in D-Dur-Greifweise zu musizieren. Das in der üblichen Stimmtonhöhe verbleibende Orchester war infolge dessen gezwungen, den Virtuosen in gedecktem Es-Dur zu begleiten, wodurch sich der Klang von Paganinis Guarneri – die er gern als seine „Kanone“ bezeichnete - noch strahlender vom Ensemble abhob.
Auch Gitarristen könnten in den Genuß dieser „natürlichen“ Dämpfung der Streicher oder Bläser durch eine ausreichende Anzahl von B oder Kreuzen kommen, sofern sie sich entschließen, ihre Kammermusik auf einem um einen Halbton höher stehenden Instrument zu absolvieren und klangstärkeren Mitspielern die Notwendigkeit des Transponierens ihrer Stimmen zu vermitteln. Das Höherstimmen der Gitarre unter Verwendung schlankerer Saiten käme auch der Durchsetzungsfähigkeit dieses Instrumentes bei solistischen Auftritten in größeren Räumen zugute.
Eine andere Lösung bestünde darin, die Gitarre in ihrer ursprünglichen Stimmung zu belassen und – unter Anwendung des gleichen Prinzips – mit Ensembles zu musizieren, deren Instrumente auf 415 Hz eingestimmt sind.